Im 21. Jhdt. hält sich mancherorts noch der Glaube, Achtsamkeit sei in den Bereich der Esoterik einzuordnen. Diese Meinung basiert auf Unkenntnis der philosophischen und psychologischen Grundlagen und der Praxis von Achtsamkeit. Die theoretischen und praktischen Grundlagen sind im Abhidharma, einer auf Beobachtung und logischer Analyse basierenden Landkarte des menschlichen Bewusstseins und Geistes. Diese Grundlagen sind in den dazugehörigen Benutzerhandbüchern, dem Satipatthana Sutta und dem Anapanasati Sutta, sowie weiteren Schriften dargelegt. Leider gibt es in der Gegenwart etliche Angebote, die auf Unkenntnis dieser Grundlagen konzipiert und ausgeführt werden. Dies führt oft zu einer entsprechend diskreditierenden Wahrnehmung von Achtsamkeit.
Neben der naturwissenschaftlichen Erforschung von Achtsamkeit in den letzten Jahrzehnten, die die Effekte und Faktoren von Achtsamkeitstraining belegen, basiert die Übung von Achtsamkeit auf den allgemein wissenschaftlichen Kriterien von Hypothesebildung, strukturierter Beobachtung und Überprüfung, und Bestätigung oder Falsifizierung. Geschieht dies in den westlichen Naturwissenschaften aus der Perspektive der dritten Person, vollzieht sich die Hypothesenprüfung bei Achtsamkeit aus der Perspektive der ersten Person. Bei zunehmender Übung findet zunehmend eine Überprüfung auf der inneren dritten Beobachterebene statt, was aus kybernetischer Perspektive, einer gültigen Objektivation entspricht. Die Übung von Achtsamkeit erfolgt nach klaren und objektivierten Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Daher ist Achtsamkeit für jeden, der die Regeln entsprechend anwendet, nachvollziehbar und ein entsprechendes, zuvor zu erwartendes Ergebnis, ist erreichbar. Richtige Achtsamkeit ist also nicht mehr oder weniger esoterisch als Mathematik, Physik oder Chemie. Es ist jedoch notwendig, von richtig verstandener und angewendeter Achtsamkeit, also Achtsamkeit, die den nachvollziehbaren und wissenschaftlichen Leitlinien folgt, und falscher Achtsamkeit zu unterscheiden.
Zusätzlich, zur Befreiung aus der selbstverschuldeten mentalen Unmündigkeit, wohnt der Übung von Achtsamkeit eine Komponente ethischen Handelns inne. Die richtige Übung von Achtsamkeit fördert, im Bereich der allgemeinen Persönlichkeitsbildung, die Entwicklung von Selbstfürsorge, Empathie und prosozialem Verhalten. Die Basis dafür bildet eine klare Wahrnehmung der sinnlichen Eindrücke, der Gefühle, Emotionen und Gedanken, sowie Reflexion, Geistesruhe und Sammlung. Insofern grenzt sich Achtsamkeitstraining ganz klar von therapeutischen Ansätzen ab. Achtsamkeitstraining findet auf einer allgemeinen, alltäglichen mentalen Ebene statt, wo auch der eigene Habitus reflektiert wird. Es wird nicht im Bereich psychischer Störungsbilder gearbeitet. Neben der inneren Haltung von Achtsamkeit werden in der Schulung von Achtsamkeit zusätzlich auch die Faktoren Konzentration, Durchhaltevermögen, Empathie und Mitgefühl entwickelt.
Ein weiteres kritisches Argument ist, Achtsamkeit hätte einen ideologischen Hintergrund. Das stimmt, denn es gibt in der Welt keinen Begriff und keine Technik ohne ideologischen Hintergrund. Im Gegensatz zum cartesianisch verankerten kapitalistisch-materialistischen Weltbild, welches in der westlichen Welt dominiert, steht Achtsamkeit im Rahmen eines auf geistesklarer Empathie, Mitgefühl, Verantwortungsbewusstsein und prosozialem Miteinander basierenden Weltbildes. Insofern steht richtig verstandene und geübte Achtsamkeit im Zusammenhang mit einer den ganzen Menschen respektierenden Allgemeinbildung.