Vom achtsamen Gehirn zum achtsamen Körper

Lange Zeit wurde das Gehirn als der Sitz unseres Bewusstseins und unserer gesamten geistigen Fähigkeiten betrachtet. In der behavioristischen Vorstellung über den Menschen ist das Gehirn ein uneinsehbares Mysterium. Was im Gehirn, zwischen Reiz und Reaktion, vor sich geht war in dieser Zeit der Wissenschaft verborgen. Heute gibt es technische Verfahren die es uns möglich machen nicht nur wahrzunehmen, dass das Gehirn schwingt (EEG), sondern auch Verfahren, die es möglich machen die Arbeitsweise des Gehirns in Echtzeit über Bilder zu beobachten (fMRT). Hier wurden in den letzten Jahren verschiedene empirische wissenschaftliche Studien zum Thema Achtsamkeit durchgeführt und deren Ergebnisse publiziert.

Zwei spannende Erkenntnisse sind, dass z.B. langjährig Meditierende in der Lage sind bestimmte Bewusstseinszustände (z.B. Konzentration auf ein Objekt) lange zu halten und auch, dass ihre Gehirne besser integriert arbeiten. Das bedeutet, dass die Körperregulationen, die mittels Brems- und Beschleunigungsprozessen des Nervensystems reguliert werden, besser koordiniert und ausgeglichen werden.

Ebenso können langjährig Meditierende soziale Situationen besser einschätzen und Emotionen anderer Menschen besser lesen. Die abgestimmte Kommunikation beinhaltet die Koordination des eigenen geistigen Inputs mit dem eines andern Menschen. Dies ist ein Resonanzprozess, der unter Einbeziehung der mittleren Präfrontalbereiche (PFC – Präfrontaler Cortex) stattfindet. Die emotionale Ausgeglichenheit von Meditierenden, bzw. von Achtsamkeit übenden, impliziert, dass die affekterzeugenden Bereiche des Limbischen Systems genügen Aktivierung erfahren, um dem Leben Sinn und Vitalität zu verleihen.
Durch die Regulation der subkortikalen Regionen durch den PFC wird das Feuerverhalten (wenn Neuronen einen Impuls geben wird das „Feuern“ genannt) des Limbischen Systems überwacht und gehemmt. Das hat z.B. eine Minderung der affektiven Reaktanz zur Folge. D.h., dass nicht mehr augenblicklich oder ungehemmt auf Impulse von außen reagiert werden muss. Man wird sozusagen Herr im Haus der eigenen Emotionen. Zur Möglichkeit der Reaktionsverzögerung kommt auch eine Steigerung der Auswahl an alternativen Handlungweisen, da die limbischen Reaktionen (Flucht, Angreifen, Totstellen) unterdrückt werden und die exekutiven Funktionen des PFC (hier wird auch Moral und ethisches Verhalten vermittelt) zum Tragen kommen. Auch Angstmodulationen können mittels Meditation und Achtsamkeitstraining positiv beeinflusst werden. Dies wird bereits in psychotherapeutischen Verfahren (z.B. bei der Behandlung von Panikstörungen, Zwängen und Phobien) eingesetzt.
Einsicht oder sich selbst kennendes Gewahrsein verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander. Die In- und Outputfasern des mittleren PFC reichen weit in viele Bereiche des Gehirns. Durch die neuronalen Zusammenhänge betreffen sie auch Bereiche des autobiographischen Gedächtnisspeichers, die Themen des gegenwärtigen Bewusstseins, unserer Lebensgeschichte und unseren Bildern von der Zukunft werden emotional strukturiert.
Unsere Intuition scheint das Registrieren des Inputs aus den informationsverarbeitenden neuronalen Netzwerken zu enthalten, die unsere inneren Organe umgeben, z.B. Herz, Lungen und Darm. Die Weisheit des Körpers ist also mehr als eine poetische Metapher. Sie ist ein neuronaler Mechanismus, durch den wir über die PDP (parallel distributed processing), die um unsere Hohlorgane herum stattfindet, einen tiefen Zugang zum Wissen unseres Körpers erlangen. Der entsprechende Input wird im mittleren PFC registriert und beeinflusst dann unsere Schlussfolgerungen und Reaktionen. (Vgl. Siegel, 2007)

Literatur:
Siegel, Daniel J. Das achtsame Gehirn. Freiamt im Schwarzwald. 2007

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